Narrative Medizin - die Sicht der Familienangehörigen

Familie Planker im Interview mit dem Team des Dachverbandes

 

Jana

In der narrativen Medizin wird der Angehörige, der so genannte Caregiver, vollständig in die Erzählung und die Behandlung der Krankheit einbezogen und nicht mehr nur als einfacher Gesprächspartner betrachtet. Halten Sie dies für einen Fortschritt?

Unsere Tochter ist von der seltenen Krankheit CDKL5 betroffen.

Es existiert zwar eine Auflistung der Merkmale dieser seltenen Krankheit, aber es gibt nicht "die Erklärung" über gewisse Auslöser der Krankheit. Die Krankheit äußert sich in vielen verschiedenen Formen - mit viel "Unwohlsein", vielen "Schmerzen", viel "Unruhe" – alles Anzeichen, die sich im Minutentakt ändern können, schwer einzuordnen sind und bei Untersuchungen stets ohne Befund bleiben.

Daher hatte unsere Tochter 10 Jahre lang keine "Diagnose", sondern immer nur eine "Folgediagnose", je nachdem wie sie sich entwickelte und welche Problematiken hinzukamen. Sie hatte und hat eigene Merkmale, seltene Merkmale, die so miteinander oder untereinander keine Verbindung ergeben. Sie war immer bei jedem Arzt und jedem Krankenhaus, sei es im Inland als auch im Ausland, nochmals "besonders". 

Unsere Tochter kann sich nicht mitteilen, nicht verbal aber auch nicht in anderer Weise, um uns zu sagen, was in ihr vorgeht oder was sie hat. Umso mehr haben wir als Eltern versucht, unser Netzwerk mit Personen aufzubauen, die uns als Eltern wahrgenommen haben und unsere Beobachtungen ernst genommen haben. Es ging ja hauptsächlich um Beobachtungen und Gefühle zu einer gewissen Situation, zu gewissen Ereignissen, zu gewissen Besonderheiten.

Seit wir die Diagnose kennen, ist es genauso wichtig, dass wir einer narrativen Medizin nachgehen, da die Krankheit unserer Tochter sehr selten ist und es nicht sehr viel Wissen darüber gibt. Die Ärzte sind auch daran interessiert, dass wir Eltern ihnen Informationen geben und sammeln diese, um mehr über die Krankheit zu erfahren.
So ist die narrative Medizin gegenseitig von großer Wichtigkeit und großem Interesse und basiert auf einer guten Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Familie. Oft ist es nämlich so, dass in einem 1. Moment gewisse Symptome mit anderen gar nichts zu tun haben, wenn einem aber die Zeit gegeben wird "ganzheitlich" zu berichten, findet man "gemeinsam" oft eine Verbindung.

Haben Sie im Laufe der Betreuung Ihres Familienmitglieds Fachleute gefunden, die Ihnen zugehört und Ihre Zeit respektiert haben?

Wenn man als Familie so ins "kalte Wasser" geschmissen wird und sich auf einmal das ganze Leben nur mehr um ärztliche Themen dreht und man andauernd Gespräche mit Ärzten führen muss, kann man zunächst nicht unterscheiden. Mit der Zeit lernt man, sich neu zu orientieren und man begreift, dass es auch große Unterschiede gibt. Man merkt, wie wertvoll ein gutes Gespräch ist und wie wichtig das "gemeinsame Überlegen" und das "gemeinsame Entscheiden" ist. 

Einigen Ärzten mit dieser Grundhaltung sind wir auf unserem Lebensweg spontan begegnet. Sie sind für uns nach wie vor sehr wichtig. Andere mussten wir in den Jahren suchen. Uns war es wichtig, dass sie im Netzwerk respektvoll zusammenarbeiten.
Wir haben ein gut funktionierendes Netzwerk. Daran muss aber ständig von allen Seiten gearbeitet werden. Uns als Familie ist die Wertschätzung gegenüber den Ärzten, Pflegeteam, Therapeuten usw. sehr wichtig - sie sollen wissen und spüren, dass ihre menschliche Art und ihr Ansatz den Beruf so anzugehen, den großen Unterschied machen! Man kann den Beruf so oder so ausüben.


Eine der besten Begegnungen war für uns das Kinder Palliativ Team unter der Leitung von Frau Dr. Molinaro. Wir wissen nicht, ob sie eine Spezialisierung in narrativer Medizin haben – auf alle Fälle orientiert sich ihr Dienst unserer Meinung nach sehr daran. Sie begleiten uns mittlerweile seit dem Jahr 2016. Das gesamte Team, jedes einzelne Mitglied, jeder in seiner Funktion, ist für uns "Gold wert". Zuerst kannten wir ihr Konzept nicht und dachten, unsere Tochter fällt da nicht rein, da sie nicht "palliativ" ist. Aber sie verfolgen den Ansatz, dass Familien mit einem schwer chronisch kranken Kind von ihrem Dienst betreut werden, da sie ständig sehr belastet sind - Jahr aus Jahr ein. Das Palliativ Care Team, kommt zu uns nach Hause, was uns vieles erleichtert. Sie schauen sich die gesamte Situation vor Ort an. Sie besprechen mit uns als Familie alle möglichen Themen und geben dann auch ihre Unterstützung in den verschiedensten Bereichen. Unsere Tochter ist durch die Visite zu Hause nicht so überfordert und der Aufwand ist auch kleiner. Wenn man schon ständig Visiten und Therapien hat, ist dies für das betroffene Kind und für die Familie eine Erleichterung. 

Welchen Wert kann die Narrative Medizin für Sie als Angehörige haben?

Durch die narrative Medizin kann man vieles individueller planen. Es betrifft Ärzte, Pflegeteam, Therapeuten und genauso Behandlungen, Visiten und Therapien. Die Krankheit selbst wird oft nicht um vieles verbessert. Die Lebensqualität der Familie schon. Wir haben die Situation nicht im Griff und der Alltag bleibt nach wie vor eine große Herausforderung, aber es ist für uns Eltern eine Wohltat, sich im Fachkreis ehrlich und offen austauschen zu können. Es kommt auch vor, dass man verschiedene Ansichten hat, aber mit gegenseitigem Respekt findet man einen Weg weiterzugehen.